Franz Hitze - sein Erbe ist eine Herausforderung

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„Er war weltoffen und heimatverbunden, er verband Mystik und Politik, Aktion und Kontemplation", erklärte einst Bbr. Prof. Dr. Reinhard Kardinal Marx in seiner Predigt anlässlich des 150. Geburtstags von Franz Hitze im Jahre 2001. Franz Hitze habe die Wirklichkeit der Welt anerkannt und in der Zeit der Proletarisierung zugleich aktiv den Weg kleiner Schritte zur Verbesserung der Lebensverhältnisse gewählt. „Sein Wirken ist ein bis heute wirksamer Baustein für mehr Gerechtigkeit, Solidarität und Menschenwürde im Aufbau des Reiches Gottes", so der damalige Paderborner Weihbischof. „Er hat sich mit dem langen Atem der Hoffnung und in mühsamer Kleinarbeit hineingekrallt in die Wirklichkeit, wohlwissend um die Grenzen und darum, dass alles Gelingen von Gott und nicht vom Menschen abhängt." Bei allem leidenschaftlichem Engagement für die Sache habe er nicht auf menschliche Ideologien und Utopien gesetzt. „Handle so, als hinge alles von Gott ab, und bete so, als hinge alles von Dir ab", griff der Zelebrant ein meist in umgekehrtem Wortlaut geläufigeres Wort des Berliner Kardinals Sterzinsky auf. So verstanden, sei Franz Hitzes Vermächtnis Auftrag und Herausforderung „für uns alle, die sozialen Probleme in die Mitte der Kirche zu stellen. Er ist ein Beispiel für uns Unitarier und für die ganze Kirche. Dafür sind wir ihm dankbar."

Dass der Einsatz für mehr Gerechtigkeit auch heute zu den zentralen Aufgaben der Kirche und Herausforderungen für jeden Unitarier gehört, unterstrich Reinhard Marx in seiner Festrede anlässlich des damaligen Festkommerses. Er charakterisierte Hitze als jungen Theologiestudent, als Priester, als Wissenschaftler, in seiner gesellschaftspolitischen Wirkung und als politischen Beweger, skizzierte in kräftigen Strichen die Zeit, in der sich Franz Hitze seiner Lebensaufgabe stellte und machte angesichts aktueller Diskussionen in der Kirche Mut: „Das 19. Jahrhundert ist eines der interessantesten Kapitel der Kirchengeschichte. Denn wer von den Klugen und Gelehrten, den „Zeit- und FAZ-Lesern von damals", hätte 1799 nach dem Tod Papst Pius VI. noch einen Pfifferling auf die Wiederauferstehung der Kirche in Deutschland gegeben? Und doch kam alles ganz anders", erklärte Marx. Zum Ende des Jahrhunderts, zur Zeit Papst Leos XIII., der höchsten Schaffenskraft Franz Hitzes und der Blüte der katholischen Sozialbewegung, habe sie eine ungeahnte neue Kraft entfaltet. „Es gibt eben kein Naturgesetz einer bestimmten Entwicklung des Niedergangs der Kirche!", meinte Marx: „Wir stehen am Anfang des 21. Jahrhunderts und wer sagt uns, dass die Kirche nicht auch am Ende unseres Jahrhunderts kräftiger, profilierter und stärker dasteht?"

Hitze: Von der Unitas geprägt

Dass Franz Hitze „mit Karl Marx im Gepäck studiert" habe, stehe für eine „unitarische Haltung", die von einem festen Standpunkt aus alles nach an Richtigem und Wahrem prüfe. Maßgeblich inspiriert gewesen sei diese Neugierde, die den jungen Studenten ausgezeichnet habe, durch die Wissenschaftlichen Sitzungen: So habe er selbst einmal bekannt, dass ihm seine eigenen Vorträge in Würzburg zum Ausgangspunkt und entscheidenden Anstoß für seine ganze Lebenstätigkeit geworden seien. Auch sein Studium habe er zudem immer weiter gefasst und breite Interessen über sein Fach hinaus entwickelt - eine Haltung, die sich Bbr. Marx auch von den heutigen Theologiestudenten wünsche: „Wie soll denn heute, in einer sehr komplexen Gesellschaft, jemand Priester sein, wenn er nicht einerseits auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Theologie ist, aber andererseits auch nicht wenigstens versucht, die Welt und ihre Zusammenhänge zu verstehen?", erklärte er unter großem Beifall. „Hitze gehört zu denen, die es getan haben."

Ohne selbst je ein großer Wissenschaftler oder Systematiker zu werden, habe sich Hitze nach seiner Rückkehr aus Rom „in die konkrete gesellschaftliche Schlacht" begeben. Wichtiger als seine theoretischen Werke sei vor allem immer seine vor allem mit den Namen des Mönchengladbacher Unternehmers Franz Brandts und mit dem Zentrumsführer Bundesbruder Ludwig Windthorst verbundene praktische Arbeit gewesen. Und die Aufgabe, eine ethischen Linien folgende und sozialen Anforderungen gerecht werdende Marktwirtschaft zu schaffen gelte bis heute unverändert fort, erklärte Marx. Auch manche Kirchenkritiker sähen in der katholischen Kirche und ihrer Soziallehre inzwischen eine der letzten Institutionen, die dieser Entwicklung in die Speichen greifen könnten. „Und da ist das, was Hitze getan hat, in neuer Weise zu tun." Prophetisch und klar habe die Katholische Soziallehre die Folgen des Sozialismus gesehen, zugleich aber auch den nackten Kapitalismus decouvriert - eine Aufgabe, die im Grunde bis ebenfalls heute gleich geblieben sei. „Auch wenn sich die Frage, wie man eine Kombination und Miteinander von Marktwirtschaft und Sozialstaat schafft, zeitabhängig in Deutschland, Europa und weltweit immer wieder anders stellt: Die Kirche und ihre Soziallehre muss sie sich am Anfang des 21. Jahrhunderts wieder auf ihre Fahnen schreiben."

Zu Franz Hitzes Erbe zähle bis heute zudem die Gründung des Volksvereins, eines Bildungsprogramms ungeheuren Ausmaßes, das Millionen Mitglieder erreichte und mit den damals modernsten medialen Methoden betrieben wurde. „Doch warum sind wir heute in den Medien so wenig präsent? Wo kommen kirchliche Positionen wirklich zum Tragen und warum haben wir etwa keinen eigenen Fernsehkanal?". Vor allem zähle zu Hitzes bleibendem Vermächtnis die Gründung des Caritasverbandes. „Und was ist heute? Heute sind Caritas und Soziallehre auseinandergefallen, obwohl sie beide aus einer gemeinsamen Wurzel herausgewachete Arbeit und politische Diakonie gehörten aber zusammen: „Es geht nicht nur darum, dem unter die Räuber Gefallenen zu helfen, sondern es geht auch darum, den Weg zwischen Jerusalem und Jericho sicherer zu machen, damit niemand mehr unter die Räder kommt."

Als großen Beitrag Franz Hitzes für die Entwicklung einer modernen Gesellschaft würdigte Reinhard Marx die Gründung katholischer Arbeitervereine, aus der die katholische Arbeiterbewegung und später die KAB entstanden. „Wie wichtig die von ihm motivierte Selbstorganisation der Arbeitnehmer ist, sehen wir doch in den Ländern, in denen selbst heute noch eine Kleptokratie der Herrschenden alle anderen von der aktiven Teilhabe an politischen Prozessen und Entscheidungen ausschließt. Doch es braucht die Gruppen, Kulturträger, Gemeinschaften, die Idee und Wirklichkeit der Partizipationsdemokratie, die in der Zeit Hitzes entstand." Über die Organisation von eher innerkirchlich geprägten Gruppen im vorparlamentarischen und zivilgesellschaftlichen Raum hinaus habe Hitze aber auch die eigenständige christliche Gewerkschaftsbewegung als politischen Hebel in gesellschaftlichen Fragen initiiert, sei konsequent selbst dem einsetzenden großen innerkirchlichen Streit in der Gewerkschaftsdebatte nicht aus dem Wege gegangen, der die Entwicklung der Arbeiterorganisation jahrelang erheblich schwächte. Dass er dies in ökumenischer Offenheit tat, sei „fortschrittlich für seine Zeit und auch Ausweis von Hitzes Weltoffenheit" gewesen. „Denn: die Realitäten begreifen, ergreifen und prägen - dies müssen wir auch heute umsetzen. Wenn wir nicht in Selbsterhaltungsdiskussionen stecken bleiben, sondern politisch aktiv in die Gesellschaft hineinwirken wollen, brauchen wir in der Kirche eine Sensibilität für das politische Wirken." Hitzes Vermächtnis sei bleibender Auftrag nicht zuletzt für die Unitas, in der sich seit Beginn eine starke Identifikation mit der Kirche, eine starke Verbindung in der Eucharistie und der Auftrag zum beherzten Einmischen in die öffentlichen Dinge immer verbunden hätten. „Das brauchen wir auch heute!"

Was Hitze schließlich besonders ausgezeichnet habe, sei seine parlamentarische Arbeit der mühsamen kleinen Schritte gewesen, sehr praxisnah und an aktuellen Problemen orientiert, äußerte Marx. „Ich ermutige dazu, dass viele Bundesbrüder in die Politik gehen und sich in die Mühle des Parlamentarismus hineinbegeben. Denn es gibt keine Partei, von der wir sagen können. Die macht das für uns! Auch hier will ich die Unitas aufrufen, die Charismen zu entdecken und zu entwickeln. Und wenn es einer tut, so sollten wir ihm sagen: Tu das, wir stehen hinter dir!"
Franz Hitze habe in seiner Arbeit, seinem Leben und priesterlichen Zeugnis Spiritualität und Einsatz für Gerechtigkeit, politisches Engagement und Frömmigkeit, Weltoffenheit und Heimatverbundenheit verbunden. „An ihm können wir sehen: Mitten in der Welt, offen für die Armen und am Rande Stehenden, Leidenschaft für die Sachanalyse, um mehr Gerechtigkeit in einer konkreten Welt durchzusetzen und die Möglichkeiten richtig einzusetzen - das ist eine Aufgabe der katholischen Kirche auch in unseren Tagen. Und ich wünsche mir, dass eine Erneuerung der kirchlichen Sozialbewegung, auch der Unitas, von solchen Personen wie Franz Hitze inspiriert wird. Wir freuen uns und sind selbst geehrt, ihn als Bundesbruder in unseren Reihen gehabt zu haben", schloss Reinhard Marx seine damalige Festrede unter langanhaltendem Beifall.

(Ausschnitt aus "Franz Hitze - sein Erbe ist eine Herausforderung" aus unitas 2/2001)

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